Zwischen Cyberpunk 2077, Erinnerungskultur und dem Ende des Selbst
Was wäre, wenn wir den Tod überleben – nicht biologisch, sondern digital?
In Cyberpunk 2077 ist das längst Realität. Avatare wie Johnny Silverhand oder Alt Cunningham leben jenseits der „Blackwall“ – einer digitalen Barriere, die Menschen von unkontrollierbaren KIs trennt. Die Grenzen zwischen Mensch, Maschine und Erinnerung verschwimmen. Und wir? Wir bauen neben der allgemein bekannten generativen KI auch an genau solchen Systemen.
Willkommen im Zeitalter der „Digitalen Wiederauferstehung“.
Was Cyberpunk 2077 vorwegnahm
Vorweg: Ich war schon immer der Meinung, dass Spiele ein guter Weg sind, sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Letztlich entstehen hier ganze Welten. Was Bruce Bethke als Begriff prägte, fand spätestens mit der Neuromancer-Trilogie von William Gibson oder dem Film „Matrix“ (1999) den Weg zu einem breiteren Publikum. Als Pen-&-Paper-Rollenspiel erschuf Mike Pondsmith die Welt, die in der letzten Version im Jahre 2045 spielt.
Immersiv erlebbar für ein breiteres Publikum wurde Pondsmiths Welt im Videospiel Cyberpunk 2077, das 2020 vom polnischen Entwicklerstudio CD Project Red entwickelt wurde. Im Zentrum: Der Spieler, der sich in einer offenen Welt in und um Night City bewegt, stets in Interaktion mit Charakteren, teils stark mit unterschiedlicher Tech aufgemotzt, ins Cyberspace abtauchend und dabei den allmählichen Verfall der Werte beobachtend. Insofern ist Cyberpunk 2077 mehr als eine interaktive Geschichte für mich.
Die Dystopie von Night City ist kein ferner Traum mehr. Die Blackwall (als eine Art „Firewall“) trennt das menschliche Netz vom alten, KI-kontaminierten Teil – ein Ort, an dem Bewusstseine digital weiterleben, übermächtige Algorithmen agieren, Persönlichkeitsfragmente treiben wie Geister in der Maschine.
Alt Cunningham, einst Mensch in der Geschichte von Cyberpunk 2077, lebt nach ihrem Tod als reine Datenstruktur weiter. Sie ist autonom, lernfähig – aber auch entfremdet. Begegnungen mit ihr im Spiel zeugen von einer seltsamen Entrücktheit. Eine kühle Entfernung, die unüberwindbar scheint. Diese Interaktion mit ihr stellt eine wichtige Frage, die uns heute beschäftigt: Was bleibt von uns, wenn wir keine Körper mehr haben?

Interaktion mit Alt Cunningham.
Screenshot aus „Cyberpunk 2077“
Die Blackwall ist in Wahrheit keine Grenze – sie ist ein Spiegel. Und wir haben begonnen, hinein zu blicken.
Projekte, die heute daran bauen

Project December (im Netz: Project December: Simulate the Dead) simuliert verstorbene Menschen mithilfe großer Sprachmodelle. Ein Mann führt Gespräche mit seiner verstorbenen Verlobten – und die KI antwortet im Tonfall, der Wortwahl, der Persönlichkeit von „Jessica“. Nicht gespenstisch – sondern tröstlich. Und zugleich: eine ethische Zeitbombe. Aber darauf gehen wir später ein.
HereAfter AI (im Netz: HereAfter AI — Interactive Memory App — Try Free) geht systematischer vor: Menschen können zu Lebzeiten ihr digitales Ich trainieren. Nach dem Tod bleibt ein Avatar, der mit Hinterbliebenen interagieren kann. Es ist ein interaktives digitales Kolumbarium, besser gesagt als sogenannter „Relic“, den der Spielercharakter „V“ in Cyberpunk 2077 erhält, auf dem die Persönlichkeitsstruktur (das sogenannte „Engramm“) von Johnny Silverhand enthalten ist. Der Effekt ist derselbe: Johnny spricht mit V. Wie Hinterbliebene bei HereAfter AI mit den Davongegangenen „sprechen“ können.
Die Trauerarbeit wird interaktiv.
Der Tod – ein Interface.
Die neue Macht der Überwachung: Palantir & Co.

Während Avatare unsere Vergangenheit konservieren, arbeitet Palantir an der Vorhersage der Zukunft. Predictive Policing, Datenaggregation, Verhaltensanalyse – unterstützt durch KI, gespeist mit den Daten unserer Entscheidungen. Die Technik wird nicht nur zum Gedächtnis – sondern zur Vorsehung.
Neuralink, Elon Musks Projekt, geht dabei noch einen Schritt weiter. Ein Hirnchip soll Blinden „das Sehen zurückgeben“. Künstliche Sinneserweiterung als Versprechen – oder der erste Schritt zur technologischen Rekonfiguration des Subjekts?
Was sagen die Philosophen dazu?
Kant sah im Menschen ein vernunftbegabtes, autonomes Wesen – ein „Zweck an sich selbst“. Eine KI-Kopie kann diese Würde nicht beanspruchen. Aber was, wenn wir selbst unser digitales Abbild autorisieren? Sind wir dann noch „Zweck“, oder bloß Narrativ? Was wird aus unserem Zweck, wenn wir Dank Unsterblichkeits-KI zum reinen Chat-Tool werden?
Hannah Arendt verstand Erinnerung als politischen Akt. In digitalen Gedenkplattformen entsteht ein öffentliches Gedächtnis – nicht statisch, sondern interaktiv. Doch: Wer kontrolliert dieses Gedächtnis? Die Familien? Die Plattform? Der Algorithmus?
Sowohl Arendt als Kant treffen dabei einen weiteren, wunden Punkt: Was passiert, wenn die „Speicherung“ unseres Bewusstseins nicht freiwillig erfolgt, niemals autorisiert wurde? Bei Cyberpunk 2077 ist der die Identität von Johnny Silverhand gegen seinen Willen in ein Engramm „gespeichert“ worden („Project Soulkiller“, entwickelt von Alt Cunningham und vom Konzern Arasaka eingesetzt).
„Sie haben meinen Körper verbrannt und meine Seele eingescannt. Ohne mich zu fragen. Das ist kein Leben. Das ist Kolonialisierung des Geistes.“
— Johnny Silverhand
Es ist digitale Nekromantie, aus seiner Sicht. Projekte wie „Project December“ oder „HereAfter AI“ sind mehr als ein Geschäftsmodell, das natürlich nicht zum Selbstzweck agiert, sondern Dienste für Geld anbietet. Sie fordern uns auch heraus, den Begriff der Vergänglichkeit zu hinterfragen.
Und die Transhumanisten? Für sie ist das alles nur der Anfang. Der Mensch ist überwindbar. Der Tod – ein Bug. Die Zukunft: ein unsterbliches digitales Bewusstsein, frei vom Körper, frei vom Altern. Aber auch: frei von Bindung, Zweifel, Kontingenz. Max More, der Begründer der transhumanistischen Bewegung, gibt an, dass Transhumanismus bedeutet, das Menschliche nicht als das Ende, sondern als den Anfang zu begreifen. Oder in anderen Worten:
„Wir werden unsere Körper neu gestalten, erweitern und schließlich transzendieren.“
Ray Kurzweil, The Singularity is Near, 2005
Was bleibt? Eine kritische Einschätzung

Der Mensch wird digitalisiert. Als Avatar, als Datensatz, als Entscheidungsmuster. Was dabei verloren gehen kann: das Unverfügbare. Das, was sich nicht in Daten, Gestik, Syntax oder Stimme übersetzen lässt: unsere Verletzlichkeit, unser Nichtwissen, unsere Intuition.
Der Transhumanismus verspricht Kontrolle über das Sterbliche. Aber vielleicht braucht Menschsein genau das Gegenteil: Das Wissen, dass alles endlich ist – und genau deshalb bedeutungsvoll. In der Vergangenheit hat das Wissen, dass unsere Zeit auf Erden endlich ist, unseren Handlungen immer eine gewisse Dringlichkeit gegeben.
Die Debatte über Ethik in Tech und KI wird jedenfalls nicht abebben, sondern mit jedem Quantensprung, die in der Abfolge immer schneller zu kommen scheinen, mehr an Wichtigkeit gewinnen. Versteht mich nicht falsch: Ich bin ein großer Verfechter des Fortschritts. Die Geschichte der Menschheit ist immer eine Geschichte der Erschließung neuer Gebiete gewesen. Und gerade mit KI lassen sich erstaunliche Dinge realisieren, egal, ob jemand damit seinen Lebenslauf optimiert oder ob bessere Krebsdiagnosen und -behandlungen möglich sind.
Mit Blick auf die KI-getriebene Unsterblichkeit steht jedoch eine zentrale Frage früher oder später im Raum: Wie gehen wir damit um, wenn längst Verblichene digital dem Totenreich entsteigen? Wie gehen wir damit um, wenn die Monster der Menschheit, deren Schriften und Taten reichhaltig dokumentiert und damit ideales Futter für eine KI sind, wieder aktiv werden und in unserer Welt der digitalen Interaktion die Gedanken der Menschen vergiften?
David Bowie hatte 1999, zum damals aufkommenden Internet befragt, offenbar eine vage Vorahnung: „I think we’re actually on the cusp of something exhilarating and terrifying.“ Hier ist das Video dazu. Er starb 2016. Zu gerne hätte ich seine Einschätzung zur heutigen Tech gehört.
Vielleicht ist die wahre Blackwall, die Grenze zwischen Mensch und Maschine, nicht technisch – sondern metaphysisch.
Hinweis: Artikel und Bilder wurden KI-gestützt erstellt und redaktionell von mir umfangreich bearbeitet. Bilder, soweit nicht anders angegeben, wurden mit einer KI erstellt.