Kategorien
#designthinking #erfahrungen

Die Transitional World für Unternehmen. Und mich.

Was ich über mich und meine Arbeit gelernt habe.

„We’re in a transitional world right now“, rief Neil Gaiman den Absolventen der University of the Arts im Jahre 2012 (YouTube) zu. Sicher meinte er, dass die traditionelle Art und Weise, wie Kunst entsteht, veröffentlicht und konsumiert wird, sich fortlaufend ändert. Das fing bereits mit den P2P-Tauschbörsen und Napster in den späten 90er Jahren an und findet in neuen Augmented-/Virtual-/Mixed-Reality-Formaten, im Stream von jedem Ort auf der Welt seine Fortsetzung. Doch was bedeuten diese Worte heute für Unternehmen — und für uns? Für uns als Kollegen, Freund, als Teil einer Familie?

Wandel erzeugt Härten

Neil Gaimans Worte sind für mich als Consultant (Customer Experience & Strategy Director) bei Ogilvy Consulting eine wichtige und richtige Erinnerung, dass alles, was wir hier und heute erleben, sich stets verändert. Mehr noch: Dadurch, dass die Welt und das eigene Umfeld im steten Wandel sind, entstehen Härten. Nicht nur bei denen, die von Natur aus Wandel und Änderung ablehnen und gerne die „gute alte Zeit“ beschwören, weil damals alles besser und einfacher war. (Das war es mitnichten.) Auch denen, die mit dem Wandel arbeiten, kann die „Transitional World“ sehr viel, manchmal zu viel abverlangen, wenn die geballte Ladung von Transformation im Beruf und plötzliche Veränderungen im Privatleben auf einen treffen. Dafür braucht es keine Pandemie.

Meine persönliche Transition…

Einige, die meinen Weg in den sozialen Netzwerken verfolgen, werden sich vielleicht erinnern, dass das Jahr 2019 für meine Familie ein extrem schwieriges Jahr war. Eine schwere Erkrankung — und ein ebenso schwerer Weg zur Genesung — kam in unsere Familie. Den Kindern erklären zu müssen, warum der Urlaub oder eine Freizeitaktivität mal nicht geht, warum ein Mensch, den man sehr lieb hat, so leiden muss, ist extrem hart. Und das nicht punktuell, sondern über einen langen Zeitraum. Und ein Unglück kommt selten alleine. Zeitgleich änderten sich, sagen wir mal, einige Vorzeichen und Verhaltensweisen im Kontext einer früheren beruflichen Rolle. Der mentale Druck, der sich an diesen zwei Fronten aufbaute, war für mich kaum mehr auszuhalten.

…und Wandel als Reaktion

Und so kam ich „in Transition“. Ich suchte mir jemanden, der mein emotionales wie rationales Ventil sein konnte, jemanden, der mit mir konstruktiv arbeitet, die unterschiedlichen Handlungsstränge in meiner Situation reflektiert und mir hilft, eine bessere mentale Rüstung anzulegen. Quasi einen „Coach“. Ich habe mich spiegeln lassen und die Kraft gefunden, mit der vorliegenden Situation aktiv zu arbeiten. Auch mit der ein oder anderen Härte inklusive.

„Follow your heart.“ Der vielleicht wichtigste Punkt aus den Guidelines des PICNIC Festivals. Amsterdam, 2012.

Also änderte ich ein paar Dinge. Ich konzentrierte mich mehr darauf, achtsam da zu sein, wo die kleinen Wunder wahrnehmbar sind — etwa in der Familie, im Garten, mit Freunden. Sich selber auch Zeit einzuräumen, sich mit seinen Gedanken noch intensiver auseinanderzusetzen — „in sich reinhorchen“. Akzeptieren, dass die aktuelle Situation auch nur ein Route auf dem Weg des Wandels ist.

In einer Art denke ich, dass dieser „Vorlauf“ in 2019 meine Familie und mich im speziellen für die Pandemie des SARS-Cov-2 gerüstet hat. Dazu hatte ich das Glück, im letzten Jahr eine neue Rolle in einem neuen Umfeld — dem bei Ogilvy Consulting — anzutreten. Zu gerne erinnere ich mich an das Kennenlernen mit Birgit und Aurel (und den vielen neuen Kollegen aus UK), wo während des Interviews meine Kinder auf dem Plan traten — alles kein Problem, sondern augenzwinkernd, entspannt und dennoch zielführend.

Unternehmen in einer Transitional World

„No more ‚business as usual'“. Ross Ashcroft 2012 beim Vortrag zu seinem Film „The Four Horsemen“, der vor allem geopolitisch und ökonomisch geprägt ist.

In vielen von diesen Episoden von 2019 und 2020 stecken Erkenntnisse, die sich in einem veränderten Kontext ebenso auf Unternehmen anwenden lassen, denn diese sind ebenso Teil dieser „Transitional World“ — egal, ob sie in Kommunikation, Marketing, Customer Experience oder Produkt-/Serviceentwicklung aktiv sind. Neben Methoden und Tipps ist die „Denke“ dahinter ebenso wichtig. Von den vielen Events, die ich besuchen durfte, blieb mir das explorative wie anpackende Gen des PICNIC Festivals 2012 nachhaltig im Gedächtnis. Was also nehme ich mit, was kann für Unternehmen spannend sein?

Kommende Härten erkennen

Der von mir sehr geschätzte Simon Wardley beschrieb das Umfeld, in dem ein Unternehmen aktiv ist, in seinen Wardley Maps. Ein wichtiger Teil darin ist in diesem Zusammenhang „Climate“, also das Klima. Wenn eine Gruppe von A nach B unterwegs ist und sich das Klima unterwegs ändert, dann muss unter Umständen eine andere Route eingeschlagen werden. Die Wardley Maps eignen sich sehr gut, die Aktivitäten des Unternehmens darzustellen und zu erkennen, welche davon sich etwa durch Automation verändern werden oder wo ein Invest in Innovation ratsam wäre. Zusätzlich können etwa der Gartner Hype Cycle for Emerging Technologies, eine Bestandsaufnahme im Business Model Canvas bis hin zur Ideenfindung im Virtual Design Sprint wirkungsvoll sein.

Oben sprach ich von den Härten, die steter Wandel erzeugt. In der Evolutionslehre formulierte Charles Darwin das Dogma von „survival of the fittest“ — die, die sich am besten anpassen, haben eine Überlebenschance. Insofern ist der strategische Blick für Unternehmen mit den oben genannten Tools wichtig. Wie sieht die neue Realität aus? Welche Anpassungen (bis hin zu echten Innovationen) sind notwendig? Diese Fragen begleiten uns nahezu jeden Tag, denn mit jedem Marktbegleiter (oder Disruptor) oder Ereignis (etwa einer Pandemie) ändert sich die Realität.

Der Wandel vom Dienstleister zum vertrauensvollen Begleiter

Es ist dabei sehr wichtig, einen Partner an der Seite zu haben, mit dem ein vertrauensvolles Arbeiten möglich ist. So wie ich mir meinen „Coach“ gesucht habe, der mit mir gearbeitet hat, muss in meinen Augen ein Consultant diese Rolle für seine Klienten einnehmen. Clayton Christensen beschrieb anhand seiner Erfahrungen in der Mayo-Klinik, wie wirkungsvoll es sein kann, wenn ein hauptverantwortlicher Lotse für den Kunden arbeitet und die jeweiligen Fachexperten koordiniert, um eine Lösung zu finden. (Clayton Christensen: Besser als der Zufall (Amazon.de), S. 181ff.). Exakt so muss ein Consultant heute auftreten. Das kann auch bedeuten, dass vor allem klassische Agenturen ihre Rolle beim Kunden neu definieren müssen. Diesen Punkt machte zuletzt der cherrypicker-CEO Oliver Klein (Spotify Podcast).

Teams für die neue Arbeit fit machen

Die Mitglieder in einem Team müssen daher sehr viel stemmen. Denn neben den „neuen Realitäten“ kommen auch neue Muster, Verhaltensweisen und Methoden in die Arbeit. Nicht nur die Art der Arbeit ändert sich („mit Unwägbarkeiten arbeiten“), sondern auch das Miteinander im Team. Fehlerkultur, asynchrones Arbeiten und konstruktives Feedback bekommt nicht jeder in die Wiege gelegt. Mehr noch: Wer seine Teams nach Gutsherrenart führt und in seinen Zielsetzungen den eigenen Umsatz anstatt die Wertschöpfung für Kunden (der zu Umsatz führt) im Sinn hat, der wird es schwer haben, ein Team, das mit Komplexität arbeitet, zusammenhalten zu können. Und es ist nicht schlimm, wenn ein Coach aufgesucht wird, denn die fachlichen wie persönlichen Härten wollen reflektiert und überkommen werden. Man muss es nur wollen. Sonst werden Mitarbeiter „verbrannt“. Für den Kulturwandel, der hier notwendig ist, gibt es kein Allheilmittel — nur müssen Unternehmen wie Mitarbeiter gleichermaßen gewillt sein, diesen Weg zu gehen.

Die künftige Arbeitswelt ist hybrid

Und, zu guter letzt: Die Pandemie zeigte, dass wir um eine neue Art des Arbeitens in einigen Berufen und Rollen nicht herum kommen. Viele der Arbeiten, die wir erledigen können, sind im virtuellen Raum mit wenigen bis keinen Abstrichen möglich, wenn denn der Wille da ist. Das soll nun kein Plädoyer dafür sein, nur noch im Home Office zu sein, im Gegenteil. Mir fehlen die Kollegen mit Leib und Seele vor Ort sehr, was speziell bei Workshops Wunder wirken kann. Allerdings kann keiner sagen, wie lange die aktuelle Pandemie noch weiter gehen wird und was noch weiter kommen mag.

Ebenso ist auch wichtig zu reflektieren, ob wirklich jeder Flug zum Kunden unbedingt notwendig ist, speziell im „Tagesgeschäft“. Die Zeitersparnis — die für eigentliche Projektarbeit verwendet werden kann! — kann nicht ignoriert werden. Dazu können mit einer klaren Struktur (!) viele der „Working Meetings“ dezentral gute Ergebnisse liefern. Andersrum: Schlecht vorbereitete und moderierte Meetings sind auch in Präsenz eine Katastrophe.

2020 habe ich die meisten meiner Kollegen — bis heute — nur virtuell kennengelernt. Das geht. Wie auch Workshops mit halb Europa vom Schreibtisch aus gehen. Trotzdem: Ich freue mich auf „echte“ Treffen und eine gesunde Balance.

Ich glaube, dass die Zukunft für die meisten hybrid sein wird. Die Unternehmen, die nach der Pandemie in ein vorzeitliches „Command and Control“ zurückfallen, werden es zunehmend schwerer haben, herausragende Talente zu finden und zu behalten.

„The rules, the assumptions, they are all tumbling down“, führte Gaiman übrigens weiter aus. Während der Pandemie waren viele dazu bereit, neue Wege zu gehen, es musste so sein. Warum jetzt damit aufhören? Rewrite The Rules.

Mit Dank an Birgit, Aurel, und Jan-Philipp.

Von Jan Piatkowski

Vater, Digitaler, Denker, liebt The Sisters Of Mercy, liebt Borussia Mönchengladbach, filmt, fotografiert. Strategic Designer im Rheinland. Heimbrauer NOR APA Craft Beer, Lokalpolitik für die CDU Neuss.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert