“You miss 100% of the shots you didn’t take.”
Wayne Gretzky
Sportler und Philosophen sind diejenigen, die den Geist der diesjährigen PICNIC im EYE Film Institute in Amsterdam repräsentieren. Gesellschaftlicher Impact und die Nutzung momentan gebrauchter Technologien standen im Vordergrund. Vorgestellte Innovationen waren der Beleg dafür, dass man auf dem richtigen Weg ist – auch eine Erkenntnis, die so viel wert ist.
Aber vielleicht war genau das von den Machern der PICNIC auch bewusst so gewollt. Das Ambiente war stark auf DIY getrimmt, Spannholzbretter wurden auf gelben Tonnen aufgelegt zu Tischen umfunktioniert, überall waren Kartons zu sehen – Nachhaltigkeit, Dinge, die Bestand haben sollen (“Sustainism” als Nachfolger des Modernismus) standen auf der Tagesordnung. Es könnte einem fast so erscheinen, als sehnen sich die digital lebenden Menschen auch ein wenig nach Ruhe, Gleichgewicht, und Entschleunigung.
Dass man davon weit entfernt ist, zeigt die Benennung des eigentlichen Hauptthemas der PICNIC 12: “New Ownership”. Hat es sich bislang gerne als Inanspruchnahme einer Marke durch einen Nutzer im Social Web interpretieren lassen, so drückt “New Ownership” auch das Verlangen der Menschen aus, endlich Herr über ihre Daten zu werden und damit den fälligen nächsten Schritt im Konzept des “Quantified Self” zu gehen. Man sprach in der Talkshow der Vodafone Firestarters über Apps für Epilepsiekranke und über das sinnvolle Unterfangen, den eigenen Körper zu messen, um so Vorbeugung und Behandlung zu optimieren. Dass die Macher sich über fehlende Gelder und Unterstützung der öffentlichen Hand beklagen, ist vielleicht auch ein Indiz dafür, dass die Unternehmen mittlerweile vorsichtig geworden sind, wie sie ihr Geld ausgeben, und ob sie der dann zu erwartenden Datenflut eigentlich Herr werden wollen.
“New Ownership” ist folglich der Wunsch der Menschen, (nicht nur) digital über sich selbst endlich Herr werden zu wollen. Beispiele gab es auch. Dale Stephens, (“Hacking your Education”), ein Schüler Peter Thiels, sprach über sein recht junges Leben, das ihn im Alter von sechs Jahren aus der Schule trieb, um per “Unschooling” seinen eigenen Weg zu gehen. Er hatte Erfolg damit und fragt somit, ob das Bildungssystem vielleicht überholt wäre. Aber lässt sich die Systemfrage wirklich stellen? Oder darf man, muss man kritisch anmerken, dass es auch Menschen gibt, die sich lieber bequem einrichten? Die Proteste gegen SOPA und PIPA, an denen Elizabeth Stark, Speaker an Tag zwei, aktiv mitgewirkt hat, zeigen, dass die Zahl derer, die aktiv für sich bestimmen wollen, wächst, aber man fühlt, dass es noch ein weiter Weg sein wird.
“New Ownership” bedeutet auch Demokratisierung, wörtlich “??????????”, die Herrschaft des Volkes. Neben den politischen Aspekten hat die PICNIC auch im Marketing gezeigt, dass Brand Building und Management ohne den Kunden nicht mehr möglich sind. Top-Down-Kommunikation ist die Vergangenheit, weil die Gegenwart im Geiste den Kunden dazu ermächtigt, von unten (“bottom up”) die Initiative zu ergreifen, wie Doc Searls im Beispiel “Kunde vs Comcast” darstellte. Toby Barnes von AKQA merkte an, dass ein “Like” auf einer Facebook-Page flüchtig ist, der Nutzer hat ihn im nächsten Moment wahrscheinlich eh wieder vergessen. Der „Like“ ist somit eine untergeordnete Metrik, denn er sagt noch lange nichts über den Kommunikationswillen des Nutzers aus. Crowd Sourcing ist in der Kommunikation somit als ein Faktor etabliert, den Kunden und Agenturen kaum mehr aufoktroyieren können.
Wiederholt sich die Geschichte? Wem gehört die Zukunft? Nicht ohne Grund war in einem Vortrag bei Tag zwei das berühmte Gemälde “Die Freiheit führt das Volk” von 1830 zu sehen. Damals wie heute symbolisiert es, dass die Menschen ihr eigenes Schicksal selbst bestimmen wollen. “Capitalists don’t create jobs, customers do”, merkte Tim O’Reilly in seinem hervorragendem Vortrag an und rückte damit die Macht der Kunden ins Licht. Mehr noch: “The Creative Economy is about telling stories to each other about what’s true in the world.” Die Sharing-Kultur ist Teil der Demokratisierung, sie aber als Datenschleuder zu begreifen, ist zu kurz gedacht. Das Jemandem-zeigen-wollen ist der Ausdruck dafür, dass Marken und Produkte Teil des eigenen Ökosystems und somit der eigenen Lebensgeschichte sind – mit dem Zusatz, dass das Netz es uns erlaubt, sich besser zu erinnern.
Instinkte sind gefragt. So bleibt der Eindruck, dass die vielen Konzepte, Ideen und Vorträge der PICNIC die Menschen daran erinnern sollen, nachhaltig zu denken, Dinge zu reparieren und weiterentwickeln zu wollen, und sich stets an Ethik und Philosophie als gesellschaftlichen und moralischen Anker zu erinnern. Am Schluss soll Gretzky erneut das Wort haben, auch dieses Zitat war auf der PICNIC zu hören: “A good hockey player plays where the puck is. A great hockey player plays where the puck is going to be.”
Wir freuen uns auf 2013.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auch im Blog bei denkwerk veröffentlicht.
PS: Das PICNIC Festival hat einige Vorträge auf Vimeo eingestellt. Noch mehr Bilder gibt’s bei flickr.
2 Antworten auf „PICNIC – Sport, Philosophie, Umkehrung“
[…] war ich 2012 in Amsterdam, um das PICNIC Festival ’12 zu besuchen. Im Gegensatz zu damals waren wir nicht auf dem “Festland” untergebracht, sondern auf […]
[…] Von den vielen Events, die ich besuchen durfte, blieb mir das explorative wie anpackende Gen des PICNIC Festivals 2012 nachhaltig im Gedächtnis. Was also nehme ich mit, was kann für Unternehmen spannend […]