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Rise and Reverberate

Über 30 Jahre ist es her, als die Sisters sich in Leeds formierten. Independent, fast als Witz gestartet – Andrew Eldritch und Gary Marx wollten sich im Radio hören, John Peel tat ihnen den Gefallen – folgten verschiedene Inkarnationen. Und mit ihnen verschiedene Stilrichtungen. Sei es die Vielschichtigkeit der 12-Saiter, mit der Wayne Hussey den Klang der Sisters auf eine neue Stufe hob. Oder die Pop-Duo-Ära, die Eldritch als Singer-Songwriter endgültig etablierte. Danach der vor Arroganz strotzende Rock-Ego-Trip mit Andreas Bruhn, Tony James und Tim Bricheno. Die albenlose, songschreibende Konstante um Adam Pearson, verstärkt durch Chris Starling. Oder aktuell die Metal-Alternative-Pop-Mixtur, die Chris Catalyst und Ben Christo auf die Bühne bringen.

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Um ein neues Album geht es bei den Sisters schon lange nicht mehr. Bereits Anfang der 2000er Jahre wurde, nach der zunehmenden Live-Aktivität, regelmäßig nach einem neuen Tonträger gefragt. Der Deal mit EastWest wurde 1997 beendet, und seitdem wurden zig Gründe genannt, warum es keine neuen, im Studio produzierten Songs gab: Man hat mit der Independent-Single „Summer“ zu lang gewartet, dazu kosten Studio und Marketing viel Geld, und überhaupt: weder die in den 2000ern grassende Musik-Piratie um Napster, noch die Krise der Musikindustrie, die dadurch ausgelöst wurde, waren Faktoren, die ein Wagnis, Geld in einen neuen Tonträger zu investieren (und zu verlieren), sehr unwahrscheinlich gemacht haben.

Ein weiterer Faktor kam hinzu: Die Sisters erfanden sich seit 1996 als Live-Band neu. Ohne Label, mit neuen Songs. Die Jubiläumstour 2011 führte die Sisters auf verschiedene Kontinente, erstmals auch nach Südafrika und nach Japan. Neue Songs wurden munter eingestreut, altes Material neu interpretiert. Wenn man die Sisters live sieht, ist das kein Nostalgia-Act, keine alte Suppe aus neuen Dosen.

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Ich habe seit dem Jahre 2000 die Sisters in verschiedenen Inkarnationen in verschiedenen Ländern gesehen. Und mehr noch: Schon seit 1998 ging die „Jagd“ nach unveröffentlichtem Material los. Ein „Matti“ hatte auf seiner t-online-Homepage mp3 vom Bootleg „Visions at the Forum“ hochgeladen. Neue Songs wie „Summer“, „(We Are The Same) Suzanne“ und „Romeo Down“ waren plötzlich verfügbar. Und die Dominion Mailing List, später MyHeartland als Forum, brachte Fans zusammen und regte den Bootleg-Tausch an, zuerst auf CD-ROMs, später digital. So kam ich recht schnell an die Aufnahmen aus dem Jahre 1999, als Eldritch, Pearson und Mike Varjak nach einem Festival in Portugal „To The Planet Edge“ wanderten und Nordamerika tourten. Es war eine spannende Zeit, die sich 2000 (zumindest für mich) auf das M’era Luna Festival zuspitzte: Ich habe so viele Menschen von „Dominion“ dort getroffen, ebenso vom „Poison Door“ – dem deutschsprachigen Forum – es war schlicht Wahnsinn. Grenzen spielten keine Rolle mehr, sei es, dass man Aufnahmen mit Fans in England getauscht hat, oder die verschiedenen Foren-Nicknames bei Konzerten mit Gesichtern verbinden konnte.

Eine Reihe von Konzerten und Erlebnissen sind für mich seitdem hinzugekommen – mal mehr (2001-2003), mal weniger. Dass die Sisters wahrscheinlich nie mehr neue Songs im Studio aufnehmen, um diese zu vertreiben – geschenkt. Die Aufregung, wenn eine Tour, ein Konzert in der Nähe angekündigt wird, ist 2000 wie 2014 groß. Die Freude, altbekannte Gesichter unter den Besuchern zu sehen, die Geschichten, die dabei erzählt werden, das, was sich getan hat, im eigenen Leben, und die Geschichten, die man gemeinsam erlebt – das macht eine Reise zum Gig zu etwas besonderem. Ich mag es nicht missen. Ich erinnere mich gut an 2000, M’era Luna und „raise your arms“ während „Flood II“. An 2001 in Hamburg, als ich Vicus im Zug bei Osnabrück traf, wir mit anderen Fans im Irish Pub gegenüber der Großen Freiheit ein Get-Together hatten und ich – wieder mit Vicus – später irgendwo in Altona feiern war. Oder 2003, als ich Vanessa in England besucht habe und ich die Sisters an zwei Nächten in ihrer Heimatstadt in Leeds gesehen habe – und Eldritch *nicht* auf dem Klo getroffen habe, wie Paul später gerne erzählt hat 😉 Oder an RockTernat, wo ich 2001 quer durch Brüssel gefahren bin, um mit Inga aus Polen andere Fans beim Gig in der Nähe eines Brüsseler Gartencenters  zu treffen. Oder die Runden in den Niederlanden mit Chris 2011 und 2014.

Es spielt keine Rolle mehr, ob die Sisters noch einen Tonträger veröffentlichen werden. Ich freue mich auf den nächsten Gig, irgendwo, irgendwann – auf einen satten Sound, auf Nebel, Lichter, Menschen, und neue Geschichten. Und ich werde wie immer grinsen.

Meine Gigs (bisher):

12.08.2000, M’era Luna, Hildesheim, Deutschland
26.02.2001, Große Freiheit 36, Hamburg, Deutschland
06.03.2001, Palladium, Köln, Deutschland
23.06.2001, Museumsplatz, Bonn, Deutschland
24.08.2001, Pukkelpop Festival, Hasselt, Belgien
13.10.2001, RockTernat Festival, Ternat, Belgien
28.07.2002, Alive Festival, St. Vith, Belgien
01.04.2003, Jahrhunderthalle, Frankfurt, Deutschland
15.04.2003, Philipshalle, Düsseldorf, Deutschland
26.04.2003, Blank Canvas, Leeds, England
27.04.2003, Blank Canvas, Leeds, England
06.08.2005, 013, Tilburg, Niederlande
25.04.2006, E-Werk, Köln, Deutschland
06.03.2009, E-Werk, Köln, Deutschland
23.02.2011, 013, Tilburg, Niederlande
21.07.2012, Amphi-Festival, Tanzbrunnen, Köln, Deutschland
25.05.2014, Melkweg, Amsterdam, Niederlande

Von Jan Piatkowski

Vater, Digitaler, Denker, liebt The Sisters Of Mercy, liebt Borussia Mönchengladbach, filmt, fotografiert. Strategic Designer im Rheinland. Heimbrauer NOR APA Craft Beer, Lokalpolitik für die CDU Neuss.

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